Ohrfeige unter Kollegen: fristlose Kündigung ohne Abmahnung?

Immer wieder kommt es unter Kollegen zu Auseinandersetzungen und Streit. Was aber ist, wenn es nicht nur bei Worten bleibt, sondern ein Kollege einem anderem eine Ohrfeige verpasst? Reicht das für eine fristlose Kündigung? Mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz befasst (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 01.06.2016, Az.: 7 Sa 424/15).

Tätlichkeiten als Kündigungsgrund?

Die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ zur Kündigung vorliegt, § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dafür wiederum müssen Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden Arbeitgeber unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist fortzusetzen.

Bei der Bewertung dieses Aspektes sind alle Umstände des Einzelfalls miteinzubeziehen und die Interessen beider Vertragspartner miteinander abzuwägen. Die Prüfung umfasst zunächst, ob der Sachverhalt, der die Kündigung ausgelöst hat, „an sich“ geeignet ist, ein wichtiger Grund zu sein. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter den konkreten Umständen des Einzelfalls nach Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich unzumutbar ist.

Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund wegen Ohrfeige

Im Fall, den das LAG Rheinland-Pfalz zu beurteilen hatte, war ein schwerbehinderter (GdB 50) Arbeitnehmer seit über zwanzig Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigt. An einem Morgen im März 2015 kam es zwischen dem Arbeitnehmer und einem Kollegen zu einer verbalen Auseinandersetzung. In deren Verlauf verpasste der Arbeitnehmer dem Kollegen eine Ohrfeige.

Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er dem schwerbehinderten Arbeitnehmer fristlos. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Mainz. Gegen das Urteil legte der Arbeitgeber Berufung mit dem Ziel ein, das Arbeitsverhältnis für beendet erklären zu lassen.

Urteil des LAG Rheinland-Pfalz

Das Landesarbeitsgericht erklärte die fristlose Kündigung des Arbeitgebers für unwirksam. Der Arbeitgeber unterlag also auch in der zweiten Instanz.  Zwar sei eine Ohrfeige unter Kollegen „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet, eine fristlose Kündigung auszusprechen. Im konkreten Fall hätte aber auch eine Abmahnung ausgereicht, so die Richter.

Eine Abmahnung ist als milderes Mittel der Kündigung immer vorzuziehen. Das gilt allerdings nur, wenn sie genauso geeignet ist, eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Zukunft sicherzustellen und den Betriebsfrieden wiederherzustellen.

Davon ging das LAG in diesem Fall aus. Der Angriff durch den Arbeitnehmer sei nicht gefährlich gewesen, der Kollege habe zudem keine schwerwiegende Beeinträchtigung erlitten. Es habe sich bei der Ohrfeige auch um eine spontane Reaktion aus der Situation heraus gehandelt. Es sei daher davon auszugehen, dass eine Abmahnung gegenüber dem Arbeitnehmer als Warnung ausgereicht hätte. Seine Weiterbeschäftigung würde außerdem keine dauerhafte Störung des Betriebsfriedens verursachen.

Wichtig ist hier jedoch zu berücksichtigen: Die Richter haben in diesem Fall einerseits die allgemeinen Umgangsformen und den Umgangston im Betrieb in ihre Entscheidung mit einbezogen und die Tatsache, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer sein Verhalten als „Spaß“ verstanden wissen wollte.

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Die Entscheidung zeigt, dass eine fristlose Kündigung den Arbeitnehmer nicht bestrafen, sondern vielmehr den Betriebsfrieden für die Zukunft wiederherstellen soll. Reicht dafür auch eine Abmahnung, ist eine Kündigung unwirksam, weil sie nicht das mildeste Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen. Arbeitnehmer sollten sich allerdings trotzdem nicht darauf verlassen, dass vor einer Kündigung immer eine Abmahnung erfolgen muss. Auch hier kommt es – wie so oft – auf den Einzelfall an.

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